Rückblick auf den Bürgerentscheid zum Neubaugebiet “Am Graben”

Vor nunmehr einem Jahr, am 16. November 2020, fasste der Gemeinderat in öffentlicher Sitzung den Entschluss, den Bebauungsplan für das neue Baugebiet “Am Graben” aufzustellen und die gut 7 Hektar Acker- und Streuobstfläche so einer Wohnbebauung zuzuführen. 

Wie schon bei der Abstimmung zur Fortschreibung des Flächennutzungsplans 2035 erfolgte der Entschluss für die Umlage des Gebietes (entgegen der Aussage des Bürgermeisters im SWR-Beitrag vom 4. November 2021) nicht einstimmig

Nach Veröffentlichung der Pläne wurde ein Bürgerbegehren ins Leben gerufen, im Zuge dessen trotz der Corona-Maßnahmen innerhalb kurzer Zeit über 900 Unterschriften gesammelt werden konnten. Somit konnte ein Bürgerentscheid in unserer Gemeinde eingefordert werden. 

Dieser wurde schließlich am Tag der Bundestagswahl am 26. September 2021 durchgeführt. Bei einer Wahlbeteiligung von 74% wurde deutlich, dass sich derzeit eine klare Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gegen eine Beplanung der Fläche “Am Graben” ausspricht. 55% der Wählerinnen und Wähler stimmten mit “JA” dafür, dass der Beschluss des Gemeinderates aus dem November 2020 aufgehoben werden solle. 

Dies zeigt uns, dass die Verlangsamung der Entwicklungsspirale hinsichtlich des Flächenverbrauches und die Forcierung einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Wohnbaupolitik nicht nur uns in unserer Fraktion beschäftigt, sondern eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürgern umtreibt.

Ein Bürgerentscheid stellt unserer Ansicht nach ein wichtiges demokratisches Instrument dar, um Entscheidungen, die an der Bürgerschaft vorbei getroffen wurden, revidieren zu können. Die Debatte im Zuge des Bürgerentscheids sorgte für mehr Transparenz und eine offene Diskussion zwischen gewählten Vertretern, Verwaltung und Bürgerschaft. 

Einzig schade fanden wir im Laufe des Verfahrens, dass es in der Debatte teilweise an Sachlichkeit, vor allem auf Seiten der Befürwortern des Baugebietes, fehlte. Argumente wurden pauschal als unsinnig abgetan oder es wurde auf persönlicher Ebene argumentiert. Zudem wurden seitens der Befürworter weder Gegenargumente vorgebracht, noch das klärende Gespräch mit den Initiatoren des Bürgerbegehrens gesucht. War man sich also zu sicher, eine Mehrheit hinter sich zu haben?

Die Entscheidung steht – was nun?

Wie schon vor einem Jahr stellt sich nun wieder die Frage: Wie möchten wir weitermachen? Wie schaffen wir bedürfnisgerechten Wohnraum für eine wachsende Gemeinde im Rahmen unserer endlichen Ressourcen? 

Die politischen Entscheidungen der letzten Jahre hinsichtlich Nachverdichtung und Neubau in unserer Gemeinde können aus unserer Sicht zumindest hinterfragt werden. Es fällt auf, dass viele Projekte vorrangig einzelne wirtschaftliche Interessen befriedigten und nicht im Interesse der Allgemeinheit umgesetzt wurden. 

So wurden viele innerörtliche Flächen für Wasser und Luft versiegelt und öffentliche Räume wie Gehwege und Straßen zusätzlich im Zuge von Neubebauungen verschmälert. Dies kann man sowohl in der Bergstraße in Flacht als auch in der Flachter Straße in Weissach sehen. 

Bislang wurde durch kommunale Maßnahmen nur wenig zur Reduktion des Durchgangsverkehrs getan und der Ausbau eines sicheren Rad- und Fußwegenetzes nicht aktiv vorangetrieben. 

Die “grauen Baukosten” der Neubauten werden von kommunaler und privatwirtschaftlicher Hand unterschlagen, stattdessen werden die Energiestandards KfW55 bzw. KfW40 in den Vordergrund gestellt, die geringe laufende Energiekosten verursachen. 

Es ist richtig, dass Neubauten deutlich weniger Energie benötigen als unsanierte Altbauten – berücksichtigt man allerdings die Energie, die zur Errichtung des Gebäudes aufgewendet werden muss, amortisieren sich so Neubauten in der Regel erst nach 30 bis 40 Jahren. Während dieses Zeitraums sind aufgrund von Baumängeln oft schon, genau so wie bei Altbauten, Sanierungen fällig. 

Aufgrund des deutlich geringeren Ressourceneinsatzes und der höheren Individualität möchten wir erreichen, dass private und kommunale Liegenschaften einer gezielten energetischen Sanierung zugeführt werden.

Bereits für den Haushaltsplan 2020 forderten wir daher gemeinsam mit der Fraktion der Grünen ein Gesamtkonzept für Innenraumentwicklung unter Berücksichtigung unserer historischer Ortskerne, um einen verbindlichen Rahmen für unser Gemeindegebiet festzulegen. 

Die Entwicklung dieses Konzeptes wurde leider bisher abgelehnt. Aus unserer Sicht ist dies allerdings aufgrund des Klimawandels und der damit verbundenen Zunahme von Starkregenereignissen wichtiger denn je!

Daher unterstützen wir den Antrag der Grünen, eine Stelle für einen Flächenmanager in der Gemeinde einzurichten und – wie bereits 2015 – am Förderprogramm “Flächen gewinnen” teilzunehmen. So können gezielt Mieter und Vermieter, aber auch Verkäufer und Käufer zusammengeführt werden und so das natürliche Wachstum unserer Gemeinde gefördert werden. 

Einige Liegenschaften der Kommune stehen seit Jahren leer oder befinden sich in schlechtem Zustand und werden an einkommensschwache Haushalte vermietet, die nicht über die Mittel für eine nachhaltige Sanierung verfügen. Dadurch verlieren diese Immobilien solange an Substanz und Wert, bis sich ein Abriss der “alten Bruchbuden” rechtfertigen lässt. 

Um einen Verfall der Häuser zu verhindern, fordern wir eine Sanierung durch die Gemeinde selbst oder – noch besser – eine kostengünstige Weitervermittlung an sanierungswillige Bürgerinnen und Bürger. “Eigentum verpflichtet” – für Privatleute ebenso wie für Kommunen!

Gemäß dem Solidaritätsprinzip ist es unsere Pflicht als infrastrukturell privilegierte Gemeinde, die “grüne Wende” einzuleiten und so eine Vorbildfunktion für andere Gemeinden einzunehmen. Das Klimaleitbild der Gemeinde stellt hierfür einen wichtigen ersten Schritt dar, aber auch nicht mehr. 

Wir sehen den Ausgang des Bürgerentscheides als Chance für einen Neustart in der Wohnpolitik unserer schönen Gemeinde und den Beginn eines neuen Miteinanders im Interesse aller und unter Rücksicht auf die natürlichen Gegebenheiten. 

Weitere Informationen zum Bürgerentscheid sowie unsere Stellungnahmen finden Sie hier: